Digital = Dumm?


Interview mit Dr. Hannes Noack




Dr. Hannes Noack

Hannes Noack ist Neurowissenschaftler am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie der Universität Tübingen.
Der Forscher Manfred Spitzer hat die Formulierung „Digitale Demenz“ geprägt. Worum geht es dabei?
Also soweit ich die Arbeiten von Herrn Spitzer kenne, würde ich sagen, dass er sehr starke Aussagen trifft bei einer sehr dürftigen Datenlage. Die erste Frage, die man sich immer stellen müsste, wäre: Was heißt denn überhaupt dumm, was heißt überhaupt schlau? Er geht da nicht so genau darauf ein. Diese Überlegung, dass die Nutzung von digitalen Medien negative Effekte auf uns hat, das würde dann bedeuten, dass wir weniger aktiv sind, weniger in soziale Interaktion treten, vielleicht sogar auch depressive Symptome entwickeln, die scheint - wenn überhaupt - nur dürftig durch empirische Studien bestätigt zu sein. Was Herr Spitzer macht, ist natürlich einen Eindruck, den viele Leute haben, aufzugreifen, bzw. ein polemisches Argument umzuformulieren. Aber nach meinem Kenntnisstand ist die Forschungslage da zumindest uneindeutig, wenn nicht sogar widersprüchlich.
Kann man mit Kognitions-Trainingsapps für das Smartphone die Gehirnleistung verbessern?
Der Erfolg von
Gehirntrainings-
programmen bleibt
meist auf die
spezifische Anwendung
begrenzt.
Also spezifisch für das Smartphone oder nicht für das Smartphone zu sprechen ist schwierig. Es gibt natürlich schon seit längerer Zeit Versuche cognitive enhancement oder cognitive training durchzuführen und dadurch eine Steigerung in der Aufmerksamkeit, in der Arbeitsgedächtnisleistung, in der Intelligenz zu erreichen. Das sind Begriffe, die Psychologen verwenden um die geistige Leistungsfähigkeit zu beurteilen. Und was wir da finden, ist einerseits, dass solche Trainings schon wirksam sein können, allerdings der Effekt sehr begrenzt ist. Er bleibt auf die Anwendung, die man nutzt, um das zu trainieren beschränkt. Und da ist zu erwarten, dass das auch für Smartphones gilt. Was natürlich im Vergleich zu herkömmlichen Trainingssystemen bei Smartphones ein Vorteil zu sein scheint - wobei dazu wie gesagt noch keine empirischen Befunde bestehen - ist, dass das Smartphone natürlich immer mit dabei ist. Man könnte also potentiell eine relativ große Trainingsintensität erreichen und könnte gleichzeitig, nachdem das ja ein Computer ist, den ich mit mir herumtrage eine sehr individuelle Rückmeldung erhalten. Damit kann ich quasi immer an den maximalen Leistungsstand hintrainieren.
Die Wirkung solcher Gehirntraining-Apps ist also nicht bestätigt?
Das würden gewisse Autoren auch anders sehen, so wie das in der Wissenschaft auch normal ist. Aber die Frage, an der diese Wissenschaft, oder an der diese Wirksamkeit steht und fällt, ist die: Gibt es eine Verbesserung, die über diesen Übungskontext hinausgeht. Und da ist meine Kenntnis der empirischen Situation so, dass das nur in sehr begrenztem Umfang gezeigt werden kann. Also die Frage: Funktioniere ich besser auf Arbeit oder im Studium, wenn ich jetzt am Smartphone übe oder wenn ich allgemein ein kognitives Training mache.
Funktioniert diese Übertragung?
Da würde ich Ihnen ganz klar empfehlen, dass Sie diese Zeit, die Sie in das Smartphone-Training investieren in andere vielleicht angenehmere Beschäftigung investieren.
Was wäre also eine bessere Möglichkeit, meine Gehirnleistung zu steigern?
Das ist jetzt eine ausweichende Antwort: die Frage, die man sich stellen muss, ist: Muss ich die Konzentrationsfähigkeit tatsächlich steigern oder muss ich mich einfach an Dingen orientieren, die mir Spaß machen, bei denen es mir leicht fällt, die Konzentration hochzuhalten. Es ist vielleicht eine sinnvollere Investition sich mit Freunden auszutauschen, ins Kino zu gehen, ins Theater zu gehen, Bücher zu lesen und dergleichen mehr. Und es gibt auch tatsächlich - zwar im Zusammenhang mit kognitiven Training bei älteren Menschen - den klaren Befund, dass sportliche Betätigung zum einen und zum anderen auch soziale Verbundenheit schützende Effekte haben, wenn es darum geht, ob es zu geistiger Verschlechterung im Alter kommt. Und ich denke, dass das natürlich auch im gewissen Maße auf junge Menschen übertragbar ist.
Durch das Smartphone haben wir auch ständig Zugang zu sozialen Netzwerken. Kann man dies kritisch sehen?
Das wäre noch ein Aspekt dieser Digitalen Demenz, dass wir gemeinsam einsam werden, indem wir alle verbunden sind über Facebook, aber doch jeder mit sich selber unterwegs ist, weil er auf seinem iPhone mit anderen Leuten spricht als mit denen, die gerade da sind. In Zusammenhangsstudien, wo man fragt: Wie oft triffst du dich mit Freunden, wie viel Zeit verbringst du mit Freunden oder mit deiner Familie? Wie viel Zeit verbringst du im Internet?, … gibt es wenn überhaupt nur sehr, sehr geringe Zusammenhänge. Also dass Leute, die relativ viel Zeit im Internet verbringen dann vielleicht eine Tendenz haben, leicht weniger Zeit mit Freunden verbringen. Aber das Problem bei solchen Zusammenhangsstudien ist eben, dass man nicht weiß, was ist das Ei und was ist die Henne, ... Man weiß einfach nicht, ob die Leute, die ohnehin weniger auf die Straße gehen würden, sich weniger treffen würden, nicht einfach auch mehr Zeit haben, um sie im Internet zu verbringen. Oder ist es die Internetnutzung, die die Leute dazu bringt, am Ende weniger Zeit mit Freunden zu verbringen. Das ist nach wie vor ungeklärt. Wenn überhaupt, dann gibt es da einen ganz minimalen Zusammenhang.
Das Smartphone nimmt den Menschen viel Denkarbeit ab, bedeutet das gleichzeitig, dass wir mit der Nutzung dümmer werden?
Möglicherweise
schafft man sich
mit der Diskussion
um „Digitale Demenz“
auch nur einen Mythos
Das ist ja auch ein Argument von Herrn Spitzer, dass die Verarbeitungstiefe und die Tiefe der Beschäftigung mit bestimmten Themen flacher wird, man nicht mehr so tief in die Dinge einsteigt. Das ist ein interessanter Aspekt in dem Sinne, dass natürlich eine herausfordernde Beschäftigung mit Inhalten erwartetermaßen den größten Lerneffekt hat. Und wenn ich immer alles parat habe, dann muss ich mich nicht mehr so tief damit auseinandersetzen. Ich kenne dazu jetzt keine empirischen Befunde, aber ich denke, es sind zwei Aspekte wichtig. Der erste wäre: Das digitale Medium ist da und die Nutzung und die Beschaffung von Informationen verändert sich. Und das ist erstmal so gegeben. Die Frage wäre und das ist das, was implizit vermittelt wird, dass wir uns früher dann in die Bibliothek hingesetzt. Und das ist dann eben die Frage, ob tatsächlich die Verarbeitungstiefe geringer wird oder ob man da einen Mythos schafft.
Kann man das Gehirn wirklich trainieren, wie die Bezeichnung Gehirnjogging vermuten lässt?
Die Analogie, die man da bemüht und die auch Herr Spitzer bemüht, ist, dass unser Gehirn wie ein Muskel funktionieren würde. Und das ist bis zu einem gewissen Grad auch richtig. Vor allem, wenn ich Menschen von bestimmten Eindrücken oder Lernerfahrungen komplett fernhalte, dann können wir die sogenannte Deprivation im Gehirn auch sehen. Aber die Frage, ob unser Gehirn schwillt und wieder zusammenschrumpft, je nachdem ob wir es benutzen oder nicht und die Frage, ob da ein bestimmtes Trainingsprogramm tatsächlich so wirkt wie bei einem Muskeltraining, die ist absolut offen. Aber natürlich wird diese Analogie oft in den Raum gestellt und wird von vielen Leuten übernommen, obwohl man weiß, dass Nervenzellen keine Muskelzellen sind. In vielerlei Hinsicht funktionieren sie anders und sind anders aufgebaut.
Das Problem mit dem Smartphone ist ja, dass man immer versucht ist, drauf zu schauen.
Also das ist natürlich nochmal ein eigenes Thema, inwiefern der Umgang mit digitalen Medien oder Geräten Suchpotential hat und da geht man schon in die Richtung davon auszugehen, dass es eine eigenständige Suchtproblematik gibt, die durch den Neuheitswert von Informationen aufrecht erhalten wird. Und wenn wir von einer Sucht sprechen, ist es so, dass sich bestimmtes Verhalten dominant entwickelt und von der jeweilig betroffenen Person nicht mehr kontrolliert werden kann. Wenn wir davon ausgehen, dass diese Kontrollmöglichkeit nicht mehr da ist, dann ist es klar ein Problem. Wenn es also gar nicht mehr möglich ist, in der Vorlesung davon abzusehen auf Ihrem Smartphone die neuesten Neuigkeiten, die vielleicht auch gar nicht so relevant sind zu überprüfen, dann sind Sie in ihrem freien Agieren eingeschränkt. Und das ist ein Thema, was gerade auch untersucht wird. Ich habe erst kürzlich eine Studie gelesen, in der man tatsächlich herausgefunden hat, dass ähnliche Gehirnareale aktiv sind bei Leuten, die stark Internet nutzen wie bei anderen süchtigen Patienten
Muss man Smartphones also komplett verbieten?
Das Internet ist natürlich trotzdem eine unglaublich positive Entwicklung. Wenn man Manfred Spitzers Thesen hernimmt, ist die Frage: Was vergleichen wir hier eigentlich? Das passive Medium Fernsehen bspw., wobei er das ja auch ablehnt, von mir aus auch das Buch,… Hier muss man einfach die Realität sehen, dass das Buch in seiner Bedeutung zurückgedrängt wird. Was auch damit zusammenhängt, dass es schwieriger ist, an ein Buch heranzukommen. Ich muss erst in die Bibliothek gehen, es muss verfügbar sein usw. Ich bevorzuge auch vom Papier zu lesen, das ist keine Frage. Aber andererseits, wenn ich eine gelenkte Informationssuche betreibe, wenn ich eine bestimmte Frage habe - sei es eine wissenschaftliche Frage, oder wenn Sie sich für ein bestimmtes Themengebiet privat interessieren. Dann ist es natürlich die Frage: Schauen sie Fernsehen und warten bis die entsprechende Reportage kommt. Oder ist es besser, wenn Sie die Möglichkeit haben, sich aktiv mit diesem Medium auseinandersetzen und da die Informationen bekommen, die Sie brauchen. Da sehe ich einen ganz klaren Gewinn durch die digitalen Medien, die wahrscheinlich im Gegensatz zum Fernsehen ganz das Gegenteil einer Digitalen Demenz bewirken können.
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Autoren


Lisa Schwarz
Christoph Jäckle

Linrui Dai
Matthias Röck