Das gefühllose Gefühl


Eine Annäherung an das Thema Depression


Depression ist ein Begriff, der viele Gefühle umfasst: innere Leere, Antriebslosigkeit, Selbstzweifel, Einsamkeit, Unruhe, Angst... Die Krankheit hat unzählige Gesichter und findet sich in den unterschiedlichsten Lebensgeschichten wieder. Den typischen Kranken gibt es nicht.

Statt Depression auf eine Definition zu reduzieren, beleuchten wir sie aus der Perspektive einer Betroffenen, eines Psychologen und aus der Sicht der Neurowissenschaft.

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Unerträglich leere Zeit


Mona ist 24 und lebt in Berlin. Mit Anfang 20 hat sie fünf depressive Phasen hinter sich, die jeweils etwa ein halbes Jahr andauerten. Mona findet Worte und Bilder für das, was die Depression mit einem Menschen macht.


2011 ist Mona in Paris, als sie ihre erste depressive Phase hat. Ohne zu wissen, was mit ihr geschieht, schreibt sie ihre Gefühle in ihrem Tagebuch auf. Einen Auszug liest sie hier vor.

Monas Begleiter in den schweren Phasen ist ein Skizzenbuch. In ihren Zeichnungen kann sie all die verworrenen und beängstigenden Gefühle aus ihrem Inneren ausdrücken.


  • „Also ich hab echt gedacht, ich will sterben. Ich… also ich halt das nicht aus.“
  • „Ich hatte oft das Gefühl ich kann nicht atmen und ich lag in meinem Bett, fast wie erstarrt. Und ich hab mich so geschämt dabei.“
  • „Ich hatte echt das Gefühl ich dreh durch, das macht mir richtig Angst, was mit mir gerade passiert. Wie so ein totaler Kontrollverlust.“
  • „Es war total schwierig überhaupt irgendwas gemeinsam zu erleben, weil ich nichts erleben konnte, weil ich so sehr damit beschäftigt war diese Ängste, diesen inneren Stress, diese Anspannung irgendwie auszuhalten.“
  • „Weil auch in diesen Momenten, wo ich mir dann dachte ich will sterben, natürlich wollte ich nicht sterben. Ich hab nie einen Selbstmordversuch unternommen, aktiv. Das war einfach eine Sehnsucht nach Erlösung.“
  • „Wie, wie überstehe ich diesen Tag? Wie schaffe ich es irgendwie durch diesen Tag zu kommen bis ich mich wieder zurückziehen kann?“
  • „Es war wie ein inneres Streitgespräch, das nicht zum Stillstand kommt, wo sich keiner einigen kann, wo keine Stimme stark genug ist, die sagt “Stop!” oder “Es reicht!”, sondern es geht immer hin und her und hin und her.“
  • „Jeder Ausdruck von Liebe von meinen Eltern oder von der Familie war extrem unangenehm für mich, weil ich mir selber die Schuld dafür gegeben hab, dass ich so ein Drama produziere.“
  • „Das ist das Morakel. Das sind Kärtchen, auf denen ratsame Sachen draufstehen. Aber manchmal reicht es nicht, wenn da ein Kärtchen neben dem Sprungbrett steht und sagt "Spring!", sondern manchmal muss dich vielleicht jemand an die Hand nehmen und mir dir zusammen springen oder muss dich schubsen.“
  • „Der Körper fühlt sich so unangenehm an. Ich hatte solche Kopfschmerzen. Weil wenn du die ganze Zeit unter so einem Stress stehst, da verkrampft sich alles im Körper, es ist sau unangenehm.“
  • „Wenn ich da irgendwie dann raus gekommen bin, das ging oft innerhalb von zwei Wochen, also ein halbes Jahr tot und dann innerhalb von zwei Wochen wieder lebendig, das ist einfach so krass.“

#notjustsad - Mehr als traurig


Letzten November twittert sich die Bloggerin Jana Seelig unter ihrem Synonym @isayshotgun von der Seele, wie schlimm es sich anfühlt, depressiv zu sein. Mali_2, eine andere Twitter-Userin und Betroffene, verfolgt die Tweets und ruft den Hashtag #notjustsad ins Leben. Das Thema trifft einen Nerv; über Nacht werden mehr als 2300 Tweets mit dem Hashtag abgegeben. Vor allem Betroffene sind dankbar für die Möglichkeit endlich öffentlich über die stigmatisierte Krankheit sprechen zu können. Auch ein halbes Jahr später wird #notjustsad noch rege genutzt.

Mysterium für die Neurowissenschaft


Produziert das Gehirn Depressionen? So komplex wie die Gefühle von Depressiven, so vielschichtig sind auch die Erklärungsversuche der Wissenschaft. Kein Erreger, kein Virus oder eine spezifische psychosomatische Struktur lässt sich bisher als Verursacher der Krankheit festlegen.

In einem gesunden Gehirn leiten Milliarden an Nervenzellen Signale mittels elektrischer Impulse weiter. Allerdings sind die Zellen nicht direkt miteinander verbunden – die Schaltstelle zwischen zwei Zellen sind die Synapsen.


Beim Übermitteln eines Signals entsteht an den, meist chemischen, Synapsen aus elektrischen Impulsen ein chemisches Signal. Dazu schüttet die sendende Zelle Botenstoffe in den Zellzwischenraum, den synaptischen Spalt, aus. Zu diesen Stoffen, den Neurotransmittern gehören Serotonin und Noradrenalin. Beide Stoffe helfen dabei, Stimmungen zu regulieren – ein Mangel könnte also für Depressionen verantwortlich sein. Viele Antidepressiva wirken an dieser Stelle: Sie verringern meist die Wiederaufnahme von Neurotransmittern in die Zelle, erhöhen also die Konzentration von Serotonin im synaptischen Spalt.


Lange Zeit galt auch ein zu hoher Cortisolspiegel im Blut als mögliche Ursache für Depressionen. Heute werden die Stress-Hormone nicht mehr als Grund für die Erkrankung angesehen. Vielmehr nehmen Forscher an, dass bei Depressionen Stress nicht mehr richtig über das System aus Hypothalamus, Hypophyse und Nebennieren reguliert wird und es deshalb zu der Erhöhung kommt.


Diese Ansätze fließen in der aktuellen Forschung in ein komplexeres Modell ein, das hormonelle Befunde als einen Teil in einem größeren System aus bio-psycho-sozialen Faktoren betrachtet. Besonders in den letzten Jahren verbinden Experten eine grundlegende Störung der neuronalen Plastizität mit Depressionen. Dieser Begriff bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns sich zu verändern. Synapsen, Nervenzellen und ganze Hirnareale können sich, abhängig von der Aktivität, in ihren Eigenschaften verändern. Ist dieses Zusammenspiel gestört, könnte eine Depression entstehen, so vermuten die Neurowissenschaftler heute.

Viele Fragen, 6 Antworten


Professor Martin Hautzinger vom Fachbereich Psychologie der Universität Tübingen forscht seit mehr als drei Jahrzehnten über Depression und behandelt als Psychotherapeut auch selbst Depressionspatienten. Er spricht mit uns unter Anderem über die Ursachen, Symptome und die Heilbarkeit von Depression.

  • Wie äußert
    sich eine
    Depression?
  • Warum hat
    die Häufigkeit
    von Depressionen
    zugenommen?
  • Was sind
    die Ursachen
    für eine
    Depression?
  • Was passiert
    bei einer
    Depression
    im Gehirn?
  • Sind
    Depressionen
    heilbar?
  • Wie können
    sich Angehörige
    verhalten?
Beratung bei Depression

Falls Sie sich in einer Krise befinden, können Sie sich an Ihren Hausarzt wenden oder an folgende Anlaufstellen in ihrer Stadt:

  • Psychologische und psychosoziale Beratungsstellen
  • Beratungsstellen für Ehe-, Familien- und Lebensfragen
  • sozialpsychiatrische Dienste

Unter der bundesweit einheitlichen Rufnummer 116 117 erreichen Sie den ärztlichen Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigungen.

Die deutsche Telefon Seelsorge erreichen sie unter der Nummer 0800 111 0 111.

Unter der kostenlosen Hotline 0800 3344533 der Deutschen Depressionshilfe geben Psychologen Informationen zur Krankheit (Sprechzeiten: Mo, Di, Do: 13.00-17.00 Uhr, Mi, Fr: 08.30-12.30 Uhr).

In Notfällen wenden Sie sich bitte an die nächste psychiatrische Klinik oder den Notarzt unter der Telefonnummer 112.

Die Deutsche Depressionshilfe gibt Tipps, wie sich Angehörige verhalten können.

Außerdem bietet die Deutsche Depressionshilfe einen Selbsttest zum Erkennen einer Depression an.

Autoren


Christiane Rauscher
Helena Golz
Theresa Offenbeck