„Das Verlieben ist in
unserem Gehirn eingebaut“


Ein Gespräch mit Neurowissenschaftler
Dr. Andreas Bartels


Wie funktioniert das mit der Liebe? Welche Faktoren beeinflussen die Dauer einer Beziehung? Und können gesellschaftliche Normen etwas an unserem Liebesverhalten ändern? Diesen und anderen Fragen wollten wir auf den Grund gehen. Dazu trafen wir den Hirnforscher
Dr. Andreas Bartels, einem der Pioniere in der Ergründung menschlicher Liebe, in seinem aktuellen Forschungsinstitut.

Was ist Liebe und woher kommt sie?



Herr Bartels, die neurowissenschaftliche Forschung kann heutzutage sehr genau beschreiben, wie sich Verliebt Sein im Gehirn kenntlich macht und welche körperlichen Auswirkungen diese Hirnprozesse mit sich bringen.
Kann man aus neurowissenschaftlicher Sicht den Unterschied zwischen Verliebt Sein und Liebe erklären?
Die Neurowissenschaft hat nicht versucht, diese Begriffe zu definieren oder zu unterscheiden. Ich aber würde Liebe als den Zustand definieren, in dem eine Bindung zwischen zwei Menschen bereits geschaffen worden ist. Verliebt Sein kann man auch in Jemanden, den man nur einmal getroffen hat oder den man gerade erst kennt. Das hat eher mit Anziehung zu tun.
Das heißt, die verstärkte Ausschüttung von Glücks- und Bindungshormonen, die Sie in Ihren Experimenten an verliebten Personen festgestellt haben, kann sich sowohl auf frisch Verliebte beziehen, als auch auf Partner, die bereits seit 20 Jahren in einer Beziehung sind?
Ja genau, dazu gibt es auch Forschung. Sowohl bei frisch Verliebten, als auch bei Personen, die schon ewig zusammen sind, passiert im Prinzip genau dasselbe im Gehirn. Das sind dieselben Areale, die da aufleuchten.
Aber warum verlieben sich Menschen überhaupt?
Neurowissenschaftlich wird mittlerweile verstanden, welche Mechanismen uns binden, wenn wir schon eine körperliche Beziehung aufgebaut haben und zusammen sind. Das ist der Prozess, den wir Bindung oder vielleicht auch Liebe nennen. Was verhältnismäßig schlecht erforscht ist, ist all das, was davor passiert. Vielleicht ist beim Verlieben einfach viel Zufall dabei. Es gibt Studien, die belegen, dass man sich auch in eine X-beliebige Person verlieben könnte, wenn man die beiden Personen nur lange genug zusammen in einen Raum sperrt. Also vielleicht überschätzen wir das Ganze mit dem ‚den Richtigen finden’ und ‚der Richtige’ ist einfach die Person, die man zufällig irgendwo trifft, wenn man Single ist, und mit der man dann viel Zeit verbringt.

Liebesbindung - Wie monogam sind wir eigentlich?



Die Bindungsfähigkeit von Lebewesen ist neurowissenschaftlichen Erkenntnissen zufolge auf die Konzentration der Bindungshormone Vasopressin und Oxytocin zurück zu führen. Je mehr dieser Hormone ein Lebewesen in sich trägt, desto bindungsfähiger ist es. Meinen Sie wirklich, dass es nur diese biologischen Faktoren sind, die bewirken, dass eine Beziehung länger hält, oder gibt es noch andere ausschlaggebende Kräfte?
Die Hormone Oxytocin und Vasopressin sind notwendig, um Liebe herbeizuführen. Sie beeinflussen auch, wie stark eine Bindung ist, wenn sie dann da ist. Was es aber nicht gibt, sind Studien zu diesen Hormonen, die belegen, wie lange eine Beziehung in Abhängigkeit dieser verschiedenen Faktoren hält. Die neurowissenschaftliche Forschung zu vielen kognitiven Prozessen ist im Moment noch nicht so weit voran geschritten. Diese Fragen können die Psychologen vermutlich besser beantworten. Prinzipiell denke ich aber, dass man alles irgendwann neurowissenschaftlich erklären kann.
Es gibt auf der Welt sowohl monogame als auch polygame Gesellschaften. Tragen Menschen, die in polygamen Gesellschaften leben, einen geringeren Gehalt an den Bindungshormonen Oxytocin und Vasopressin in sich und neigen deswegen zu mehreren Geschlechtspartnern?
Ich denke nicht. Es gibt Unterschiede zwischen Menschen, was deren genetische Ausstattung angeht, ja. Aber ich glaube nicht, dass sich ganze Kulturkreise genetisch von anderen unterscheiden. Im Grunde sind wir alle bindungsfähig – wir binden uns an unsere eigenen Kinder, wir binden uns an Individuen – das kann vielleicht auch einmal mehr als ein Individuum sein, das gibt es auch bei uns. Ich glaube, dass die Gesellschaft uns in die eine oder andere Richtung bewegen kann, aber dass sie nicht grundsätzlich festlegen kann, wie wir leben. Gesellschaftliche Normen können uns nicht davon abhalten uns zu verlieben.

Die Liebe in ihren unterschiedlichen Formen



Würden Sie sagen, dass die virtuelle Liebe in Zeiten von sozialen Netzwerken & Co in Gehirn und Körper genauso funktioniert wie die ‚analoge’ Liebe, die Sie in Ihren Experimenten untersucht haben?
Man kann über Video-Chats und Ähnlichem beinahe körperliche Verbindungen eingehen oder nahezu dieselben Reize ausschütten. Das kann natürlich auch zu einer echten Beziehung oder einer biologischen Bindung führen. Ich denke auch nicht, dass die virtuelle Beziehung grundsätzlich anders ist, als wenn man sich in der echten Welt trifft. Die Biologie dahinter ist natürlich dieselbe.
In einem Ihrer Experimente haben Sie die Hirnaktivität von verliebten Personen mit den Hirnprozessen verglichen, die bei Müttern ausgelöst werden, wenn sie ein Bild ihres Babys sehen. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus den Untersuchungen ziehen? Gibt es einen Unterschied zwischen romantischer und mütterlicher Liebe?
Der Bindungsmechanismus ist derselbe. Der ist bei Müttern genauso aktiv wie bei erwachsenen Partnern und das sind auch dieselben Mechanismen, die man vom Tier her kennt. Mit einem großen Unterschied: Ein Verliebter fühlt sich natürlich auch sexuell zu seinem Partner hingezogen, während das bei einer Mutter und ihrem Kind nicht der Fall ist.
Konnten Sie in Ihren Experimenten Unterschiede zwischen den Hirnaktivitäten von verliebten Männern im Gegensatz zu Frauen feststellen?
Da würde man Unterschiede erwarten, aber die haben wir nicht gemessen. Wir hatten auch nicht genügend Männer, verglichen mit den Frauen, um einen statistischen Vergleich anzustellen. Von der Tierforschung weiß man allerdings, dass bei männlichen und weiblichen Tieren teilweise andere Hirnareale aktiviert sind. Ich gehe deshalb davon aus, dass das bei den Menschen genauso ist.

Zur Zukunft der Liebesforschung



In welchen Gebieten kann und sollte die Neurowissenschaft in Zukunft noch mehr Zeit und Arbeit investieren?
Ich sehe eine riesen Zukunft in der Erforschung der Mechanismen von Liebe und Sucht, da haben sich einige Parallelen herausgestellt. Die Sucht missbraucht bestimmte Mittel, die sich eigentlich für die Liebe entwickelt haben. Es gibt molekularbiologische Studien, die sehr wichtig sein könnten, weil sie einen Weg zur Behandlung von Sucht zeigen könnten.

Außerdem hat die Erforschung von Liebesunfähigen ein enormes Potenzial, zum Beispiel, um Therapiemöglichkeiten für Menschen zu entwickeln, die ihre Kinder misshandeln oder die Liebe nicht akzeptieren können.

Andreas Bartels



Andreas Bartels ist ein promovierter Neurowissenschaftler der sich in seiner Forschung schwerpunktmäßig mit Wahrnehmungsprozessen auseinandersetzt. Im Rahmen dessen widmete er sich nach seiner Doktorarbeit dem Thema Liebe. Über Experimente am Computertomographen untersuchte er Prozesse, die Liebe im Gehirn des Menschen auslösen. Dabei stellte er fest, welche Mechanismen im Gehirn das Gefühl des Verliebt Seins auslösen und wie diese mit der mütterlichen Liebe in Zusammenhang stehen. Derzeit forscht Bartels am Zentrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen sowie am Max-Planck-Institut zur Raumwahrnehmung und zu Selektionsprozessen.
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Autoren



Cristina Rodriguez
Saskia Dekker
Elena Arkaykina