Der Gedankencode


Wie Gehirn und Computer verschmelzen


Sie sind dein innerstes Gut und nur du allein kennst sie – deine Gedanken. Doch was wäre, wenn sie von anderen gelesen werden könnten? Immerhin wird seit Jahrzehnten daran geforscht, Hirnströme über Schnittstellen extern zu messen und zu entschlüsseln. Möglicherweise sind wir gar nicht mehr so weit davon entfernt unser Gehirn an einen Computer à la Matrix anzuschließen. Wie weit die Forschung bisher tatsächlich ist und in welchen Bereichen derartige Gehirn-Computer-Schnittstellen ihre Anwendung finden, zeigen wir euch hier.

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Was sind Gehirn-Computer-Schnittstellen?


Gehirn-Computer-Schnittstellen verbinden – wie die Bezeichnung schon erahnen lässt – das menschliche Gehirn mit einem Computer. In der wissenschaftlichen Forschung wird für diese Schnittstellen oftmals das Schlagwort BCI verwendet, was der englischen Abkürzung für „brain computer interfaces“ entspricht.

Grundlage für die Verbindung zwischen Gehirn und Computer ist die Aktivität des menschlichen Gehirnes, dessen Nervenzellen ständig elektrische Signale produzieren. Die zentrale Leistung von BCIs liegt darin, diese Hirnsignale zu messen, zu entschlüsseln und schließlich zu verarbeiten.

Je nach Einsatzgebiet werden die gemessenen Signale des Hirns dann unterschiedlich weiterverarbeitet und in spezifische Anwendungsbefehle übersetzt. Durch die Verbindung zwischen Gehirn und Computer ist es dann beispielsweise möglich, dass eine simple Kommunikation rein auf der Basis von Gedanken stattfindet. Ebenso können aber auch unterschiedliche Gegenstände durch Gedankenkraft und Gehirnaktivität gesteuert werden.

Seit einigen Jahrzehnten ist die internationale Forschergemeinschaft damit beschäftigt, immer bessere Schnittstellen zu entwickeln. Zudem wird daran gearbeitet, wie die Signale des Hirns zuverlässiger gemessen und die jeweiligen Muster einfacher identifiziert werden können.

So funkioniert's


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Das menschliche Gehirn produziert unaufhörlich elektrische Signale – unabhängig davon, ob wir gerade schlafen, Sport treiben oder in einem Business-Meeting sitzen. Beispielsweise sendet der Gehirnbereich, der für die Motorik zuständig ist, unzählige Signale vom Hirn an bestimmte Körperteile, wenn wir den Arm heben wollen, um nach der Uhrzeit auf unserer Armbanduhr zu schauen.

Durch unterschiedliche Verfahren können die erzeugten Hirnsignale dann gemessen werden. Bei diesen Messverfahren ist je nach Anwendung und Grund der Messung zwischen zwei Vorgehensweisen zu unterscheiden: Mittels nicht-invasiver Verfahren werden mit externen Messgeräten die Signale des Hirns erfasst. Bei der sogenannten Elektroenzephalografie, kurz EEG, wird zum Beispiel eine Kappe mit Elektroden am Kopf angebracht, die die Hirnsignale messen. Bei invasiven Verfahren hingegen wird der Schädel geöffnet und Elektroden dauerhaft verpflanzt. Die gemessenen Signale werden dann in beiden Fällen an einen externen Computer übertragen, der sie weiterverarbeitet.
Unabhängig davon, ob eine EEG-Kappe oder invasive Methoden genutzt werden, müssen die Signale nach der Messung verstärkt, digitalisiert und dann visualisiert werden. In der Regel wird der gemessene Input dann an einen Computer weitergeleitet, der die Hirnströme in Wellenform auf einem Bildschirm anzeigt. So können die Forscher Änderungen und Unterschiede in Echtzeit mitverfolgen. Umweltfaktoren, wie beispielsweise andere elektrische Geräte im Raum, können die Messung stören und zu ungenauen Ergebnissen führen.
Sowohl die Signalmessung als auch deren Verarbeitung ist komplex. Nahezu alle Signale, die das Gehirn erzeugt, werden bei der Messung abgefangen. Daraus ergibt sich die Aufgabe für computerbasierte Schnittstellen, nur die Signale herauszufiltern, die für eine spezifische Anwendung oder Fragestellung relevant sind. Die Herausforderung an die Schnittstelle ist vergleichbar mit dem Versuch, aus dem Stimmengewirr einer Menschenmasse eine einzelne Stimme herauszupicken.

Damit die Schnittstelle bestimmte Signale herausfiltern kann, muss ihr vorher beigebracht werden, welche Hirnsignale sie zu erkennen hat, wie diese Hirnmuster aussehen und was diese bedeuten. Diese Aufgabe wird dadurch erleichtert, dass sich bei einer Vielzahl an Menschen ähnliche Muster in den Hirnsignalen beobachten lassen, wenn sie beispielsweise ihren Arm heben wollen. Vor allem Muster für motorische Handlungen sind aktuell relativ leicht zu bestimmen.
Dass ein bestimmtes Hirnmuster eine konkrete Bedeutung hat, muss dem Computer vorher beigebracht werden, damit dieser dann einen spezifischen Befehl an eine Anwendung gibt. Das wiederum stellt große Herausforderungen an die informationstechnische Fähigkeiten der Forscher.

Grundsätzlich können Gehirn-Computer-Schnittstellen so dabei helfen, bestimmte menschliche Funktionen zu ersetzen oder wiederherzustellen, die beispielsweise durch Verletzungen oder Krankheiten verloren gegangen sind.
Bei Personen mit einer Ganzkörperlähmung können Gehirn-Computer-Schnittstellen beispielsweise dabei helfen, einen Rollstuhl eigenständig mittels Gedanken zu bewegen. Auch wenn die Forschung noch in den Kinderschuhen steckt, könnte die Zukunft so aussehen, dass sich der Rollstuhl bei Identifikation eines bestimmten Hirnmusters nach vorne oder nach hinten bewegt. Da Signale im motorischen Bereich des Hirnes einfacher zu erfassen sind, ist es möglich, dem Computer beizubringen, dass der Gedanke „rechtes Bein heben“ beispielsweise dazu führen soll, dass sich der Rollstuhl nach rechts bewegt und der Gedanke „linkes Bein heben“ dazu, dass der Rollstuhl nach links fährt.
Sogenannte Neuroprothesen finden insbesondere in der Schlaganfallforschung Anwendung und sollen Betroffenen dabei helfen, gewisse motorische Funktionen des Körpers wiederherzustellen, die sie durch den Schlaganfall verloren haben.

Oftmals haben die Patienten Probleme dabei, ihren Arm zu bewegen. Die BCI-Forschung arbeitet deshalb daran, diesen Patienten Neuroroboter zur Seite zu stellen, die durch die Vernetzung mit dem Gehirn des Patienten genau wissen, ob und welche Fortschritte dieser gerade macht. Auf Basis der Gehirnströme weiß der Roboter während der Physiotherapie immer, was der Patient gerade benötigt. Forschungsbeispiel anschauen ( Link zu Video 1)
Es gibt viele Gründe, weswegen Menschen die Möglichkeit zur Kommunikation mit anderen verlieren. Dies kann aufgrund von Schlaganfällen oder auch durch neuromotorische Erkrankungen wie ALS geschehen. Während manche Personen trotz Lähmung noch mittels Eyetrackern kommunizieren können, die die Augenbewegung der Patienten nachverfolgen und so Kommunikation ermöglichen, ist manchen Patienten selbst diese Möglichkeit verwehrt. Insbesondere Locked-in-Patienten sind buchstäblich in ihrem Körper bei vorhandenem Bewusstsein gefangen und können sich ihrer Umwelt in keiner Weise mehr mitteilen.

An diesen tragischen Fällen setzt die Forschung an und versucht, auch diesen Patienten die Kommunikation über Schnittstellen in der Zukunft wieder zu ermöglichen. Da aktuell aber keine komplexen Gedankeninhalte gelesen werden können, beschränken sich die Methoden darauf, einfache Ja- und Nein-Antworten zu vermitteln. Dabei muss der Signalverarbeitung mitgeteilt werden, dass beispielsweise der Gedanke „rechten Arm heben“ für nein steht und der Gedanke „linken Arm heben“ für ja. Ein an die Gehirn-Computer-Schnittstelle angeschlossener Sprachcomputer wandelt die identifizierten Hirnmuster dann in die jeweiligen Antwortmöglichkeiten um und macht sie somit der Umwelt zugänglich. Forschungsbeispiel anschauen ( Link zu Video 2)
Während ein Großteil der Forschung im medizinischen Bereich angesiedelt ist, gibt es auch Forschung im militärischen und kommerziellen Bereich. Gehirn-Computer-Schnittstellen werden aktuell beispielsweise im Verkehrs-, Entertainment- und Gaming-Bereich getestet.

Im kommerziellen Bereich findet der Hersteller Emotive aktuell große Beachtung, da dieser ein EEG-Messgerät für wenige hundert Euro auf den Markt gebracht hat, mit dem Laien ihre Hirnströme zu Hause messen können. Damit lassen sich dann ebenfalls unterschiedliche Anwendungen bedienen. Emotive verspricht zum Beispiel, dass sich die Konzentration und das Stresslevel des Nutzers messen lassen und auf Basis dessen die kognitive Leistung steigerungsfähig ist.
Die Funktion von Gehirn-Computer-Schnittstellen basiert meistens auf einer Feedback-Schleife. Oftmals werden den Patienten die Auswirkungen ihrer Hirnaktivitäten mittels visueller Darstellungen auf einem Computerbildschirm oder durch Töne und Geräusche angezeigt (Feedbacksignal). Dadurch hat der Patient die Möglichkeit, seine Hirnaktivität zu verändern, wenn das Feedbacksignal negativ ist oder nicht seiner Intention entspricht.

BCI als Schlüssel & Robo-Therapeut


BCIs sind vielseitig einsetzbar und können das Leben von erkrankten Menschen vereinfachen. Wir stellen euch zwei konkrete Anwendungsgebiete dieser Schnittstellen vor, an denen am Tübinger Max-Planck-Institut derzeit geforscht wird.




Zukunftsgedanken


Bisher werden BCIs vor allem im klinischen Bereich eingesetzt. Doch wie wird die Zukunft aussehen, wenn Technik und Mensch immer mehr verschmelzen? Werden wir unser Auto in 50 Jahren per Schnittstellen steuern können?

Dr. Moritz Grosse-Wentrup, der Gruppenleiter für Gehirn-Computer-Schnittstellen am Max Planck Institut in Tübingen ist, hat mit uns über die Schnittstellen der Zukunft gesprochen.

  • Was wird eine Schnittstelle in Zukunft kosten?
    Sinnvoll einsetzbare Systeme sind mittlerweile für wenige hundert Euro erhältlich. Wei- tere Preissenkungen werden durch hohe Stückzahlen entstehen, z.B. wenn einfache EEG-Systeme in die Kopfhörer von Smartphones integriert werden.
  • Wird es möglich sein, die Schnittstelle auch in umgekehrte Richtung zu nutzen, sodass zum Beispiel Informationen auch direkt ins Gehirn transferiert werden?
    Prinzipiell halte ich das für möglich. Ich glaube jedoch nicht, dass ich dies noch erleben werde.
  • Können in Zukunft Gedanken über eine Schnittstelle auch gespeichert und damit outgesourct werden?
    An diesem Thema wird bereits gearbeitet, z.B. im Rahmen einer Gedächtnisprothese. Erste Versuche bei Ratten sind vielversprechend. Es ist aber zu früh, um zu beurteilen, ob dies auf den Menschen übertragbar sein wird.
  • Inwiefern werden durch BCIs unsere inneren Gedanken in Zukunft lesbar sein?
    Jeder von uns kann die Gedanken seiner Mitmenschen lesen z.B. über deren Mimik. Unsere Mitmenschen können ihre Mimik jedoch auch verstellen und uns absichtlich über ihre Gedanken täuschen. Dies wird bei BCIs ähnlich sein. BCIs werden in gewissem Maße einen Einblick in die innere Gedankenwelt er- möglichen, werden aber genauso anfällig für Täu- schungen sein, wie jedes andere Mittel, mit dem wir unsere Mitmenschen ver- suchen zu verstehen.
  • Werden wir in Zukunft BCIs auch im Alltag nutzen, um unser Auto zu steuern oder unsere Waschmaschine anzuschalten?
    Meiner Meinung nach ist der Einsatz von BCIs nur dann sinnvoll, wenn keine bessere Methode zur Steuerung eines Systems wie z.B. einer Waschmaschine verfügbar ist. Da wir von der Natur mit einer sehr guten Feinmotorik ausgestattet sind, die auf absehbare Zeit BCIs überlegen bleiben wird, sehe ich das Hauptanwendungsgebiet von BCIs in der Unterstützung von körperlich beeinträchtigten Menschen.
  • Was ist im Bereich BCI noch Wunschvor- stellung und wird auch in den nächsten Jahren nur Science-Fiction sein?
    Meine Wunschvorstellung ist ein System, das schwerst- gelähmte Patienten rund um die Uhr für die Kommunikation mit ihrer Umwelt nutzen können, ohne dass dieses von Experten betreut werden muss. Wir arbeiten daran, dass diese Wunschvorstellung nicht Science-Fiction bleibt.

Denkanstöße


  • Eingriff in die Privatsphäre
    Bisher ist es möglich verschiedene Arten von Gedanken über BCIs zu erkennen (z.B. Benutzer denkt an ein Lied), nicht aber welchen Inhalt die Gedanken haben (z.B. welches Lied). Auch können Gedanken nicht gelesen werden, wenn es der Benutzer des BCIs nicht möchte. Dennoch bedeutet das Ablesen von Hirnströmen einen neuen Einblick in unsere Privatsphäre. In Zukunft wird sich die Gesellschaft fragen müssen, in welcher Form ein Eingriff in die Gedankenwelt stattfinden darf. Sind unsere Gedanken dann wirklich noch so frei – wie es ein altes deutsches Volkslied einst beschrieb –, wenn sie erraten werden können?
  • Einwilligung
    Ethisch besonders brisant ist die Frage, inwiefern komplett gelähmte Personen, wie zum Beispiel ALS- oder Schlaganfall-Patienten, ihre Zustimmung zu BCI-Praktiken geben können? Oftmals messen die Wissenschaftler in aufwendigen und mehrfach wiederholten Verfahren Hirnströme oder lassen sich die Zustimmung via Blinzeln der Augen geben. Doch was ist, wenn der Patient seine Entscheidung noch kurzfristig ändern will? Was, wenn er Bedenken hat, diese dann aber nicht mehr äußern kann? Ist es richtig, dass Familienangehörige über derartige Verfahren entscheiden können?
  • Datenschutz der Gedanken
    Die Wissenschaft ist aktuell noch weit entfernt davon, den tatsächlichen Inhalt der menschlichen Gedanken zu erfassen. Lediglich Ja- und Nein-Antworten können mit relativer Zuverlässigkeit bereits von Gehirn-Computer-Schnittstellen erkannt werden. Doch was passiert, wenn sich das in den kommenden Jahrzehnten ändert? Müssen wir uns dann vor Lauschangriffen auf unsere Gedanken und den erhobenen Daten fürchten? Werden die Daten dann für Werbezwecke weiterverkauft? Und wer hat jetzt bereits schon Zugriff auf die Informationen von BCIs?
  • Absicherung
    Sollte es in der Zukunft dazu kommen, dass BCIs und Exoskelette (wie beispielsweise Roboterbeine für gelähmte Personen, die per BCI gesteuert werden) dauerhaft von Patienten genutzt werden, stellen sich Haftungsfragen: Wer haftet dafür, wenn eine Schnittstelle oder ein Roboterarm nicht mehr funktioniert? Gibt es eine Absicherung gegen Nebenwirkungen oder Fehlfunktionen von implantierten Elektroden? Ist nun der Mensch oder die Maschine verantwortlich? Foto: Katrin Gildner
  • Gefördert vom Militär
    In Ländern wie den USA wird die Forschung zu Gehirn-Computer-Schnittstellen auch vom Militär und Akteuren der Rüstungsindustrie finanziert. Welche Absichten sich dahinter verbergen ist unklar. Ist es denkbar, dass die Forschung zu BCIs bald für militärische Zwecke missbraucht wird?
  • Der verbesserte Mensch
    BCIs und Exoskelette zielen darauf ab, Menschen bestimmte Funktionen wiederzugeben. Im militärischen Bereich wird die Forschung jedoch auch dahingehend eingesetzt, die Fähigkeiten des menschlichen Körpers zu erweitern. So werden in den USA zum Beispiel Exoskelette für Soldaten entwickelt, um diese leistungsfähiger zu machen. Übermenschliche Leistungen zu vollbringen oder sogar spezies-untypische Fähigkeiten zu erlangen, wird ein wichtiges Forschungsziel der Zukunft sein. Doch wie viele Erweiterungen wird der Mensch vertragen? In welchen Fällen ist das Streben nach einem Supermensch noch ethisch vertretbar?
  • Kontrolle über Schnittstellen
    Neben nicht-invasiven Schnittstellen gibt es auch solche, die den Menschen direkt in das Hirn implantiert werden, um bestimmte Funktionen genauer zu steuern. Doch wer kontrolliert diese Schnittstellen auf Dauer? Ist es denkbar, dass auch unautorisierte Personen darauf Zugriff haben und somit gar aus der Ferne einen Menschen manipulieren und fernsteuern könnten? Könnte dies auch im militärischen Bereich zu Missbrauch führen, indem Soldaten dazu konditioniert werden, bestimmte Handlungen auszuführen?
  • Langzeitnutzung
    Nahezu unbekannt ist, ob das Gehirn möglicherweise von Gehirn-Maschine-Schnittstellen abhängig werden kann und sich Gewöhnungseffekte einstellen, immerhin ist das Hirn eine formbare Masse. Welche Folgen sich aus einer mehrjährigen und intensiven Nutzung einer bestimmten Hirnregion ergeben, ist weitestgehend unerforscht.
  • Identität und Persönlichkeit
    Es ist bislang kaum bekannt, inwiefern sich die Persönlichkeit eines Menschen verändert, wenn er invasive oder auch nicht-invasive Gehirn-Computer-Schnittstellen nutzt – vor allem auch über einen längeren Zeitraum. Die Frage, ob sich Identität und Persönlichkeit und somit das Menschsein verändert, wenn die Grenzen zwischen Mensch und Technik verschwimmen, bleibt bis dato offen.

Autoren


Céline Murschel
Marissa Wennagel