Kampf der Geschlechter


Was Männer und Frauen wirklich unterscheidet


Männer können nicht zuhören, Frauen nicht einparken. Das sind nur zwei Beispiele typischer Geschlechter-Klischees, die uns oft aufgedrängt werden. Seit jeher spielt die Gender-Thematik eine zentrale Rolle in unserer Gesellschaft. Für die Medien ist das ein gefundenes Fressen und einem Mario Barth würden ohne solche Stereotype wohl schnell die spitzen Worte ausgehen. Doch was ist eigentlich „typisch Mann“ und „typisch Frau“? Worin unterscheiden sich Männer und Frauen wirklich? Und worauf lassen sich diese Differenzen zurückführen?

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Mann vs. Frau - 10 Gründe, warum es kompliziert ist


Mann und Frau - das ist so, als würden zwei völlig unterschiedliche Welten aufeinander prallen. Egal ob Sex, Schmerz oder Schlaf: Einigkeit unter den Geschlechtern herrscht quasi nie. Wann und in welchen Situationen es fast immer zum Showdown kommt, seht ihr hier.




Männer, Monatszyklus und Meerkatzen:
Geschlechterdifferenzen im Überblick


Was unterscheidet das Gehirn von Mann und Frau? Worauf lassen sich Unterschiede in kognitiver Leistung und Verhalten zurückführen? Und wird geschlechtsspezifisches Verhalten wirklich nur vom Gehirn gesteuert oder vielmehr durch Erziehung und Sozialisation aufgezwungen? Auf dem Workshop der CIN Dialogues in Tübingen stand Biopsychologe Prof. Dr. Onur Güntürkün Rede und Antwort.




Prof. Dr. Onur Güntürkün

Dr. Onur Güntürkün ist Professor für Biopsychologie am Institut für Kognitive Neurowissenschaft der Ruhr-Universität Bochum. Bis heute beschäftigt er sich intensiv mit der Frage nach geschlechtsspezifschen Unterschieden zwischen Mann und Frau. Seine Untersuchungen über deren neuronale Grundlagen sind in der biopsychologischen Geschlechterforschung kaum mehr wegzudenken.

Unterschiede zwischen Geschlechtern
kleiner als zwischen Individuen


Egal ob Mann oder Frau: Die meisten Anteile im Gehirn eines Menschen sind gleich. Güntürkün erklärt, dass die statistischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern häufig kleiner sind, als die zwischen Individuen. Trotzdem finden sich sowohl in der Anatomie als auch in der physiologischen Struktur geschlechtstypische Differenzen. Diese lassen sich bereits in der Pubertät erkennen. Im weiteren Verlauf der Entwicklung etablieren sich dabei typische Differenzierungen in bestimmten Hirnarealen. So lässt sich feststellen, dass die linke Amygdala bei Jungen, aber der Hippocampus bei Mädchen größer ist. Auch besitzen Männer beispielsweise mehr Pyramidal-Neuronen im Gehirn. Als weiteres Beispiel kann angeführt werden, dass das männliche Gehirn größer und schwerer als das einer Frau ist. Diese Tatsachen sagen allerdings nichts über die geistige Leistungsfähigkeit eines bestimmten Individuums aus. Vielmehr ist die Entwicklung der kognitiven Leistungen im Gehirn abhängig von der Interaktion mit der Umwelt und den Lernprozessen während der Individualentwicklung. Sozialisationsprozesse und die Erziehung dürfen hier also nicht vergessen werden.

Und wie verhält es sich mit der menschlichen Kognition? Güntürkün sagt, dass die kognitiven Leistungen von Männern und Frauen ziemlich ähnlich sind. Dennoch können Unterschiede festgestellt werden, die allerdings nur wenige kognitive Domänen betreffen. Zwei Hauptbereiche sind dabei von entscheidendem Interesse: die mentale Rotation beim Mann und die Sprachkapazität bei der Frau. „Die Domäne, welche die größte Effektstärke zeigt, ist eine singuläre räumliche Leistung – das sogenannte mentale Rotieren“, berichtet Güntürkün. „Beim mentalen Rotieren kommt es darauf an sich vorzustellen, wie ein Körper zwei- oder dreidimensional aussieht. Männer bringen hier durchschnittlich die besseren Leistungen“. Bei der Domäne, die Frauen vorbehalten ist, handelt es sich um verbale Leistungen, die verschiedene Aspekte der Sprachkapazität zusammenfassen. Zwar sind die Effektstärken, also die am deutlichsten gemessenen Abweichungen zwischen Mann und Frau, hier weniger groß, dafür aber breiter gestreut. Es werden also in verschiedenen Teildomänen größere Leistungen erbracht. Weiterhin haben Frauen im Allgemeinen eine höhere Wahrnehmungsgeschwindigkeit und bessere feinmotorische Fähigkeiten. Sie können visuelle Reize schneller verarbeiten und sich besser an Details erinnern.





Der räumliche Rotationstest in der Praxis –
eindeutig Männerdomäne, oder?

Antwort
Die Körper Nummer zwei und drei sind mit dem oben abgebildeten Körper identisch.

Hormone als zentrale Differenzierungskriterien


Einen zentralen Stellenwert bei der Frage nach geschlechtstypischen Differenzen nehmen die Hormone ein. Beim Menschen beginnt die hormonabhängige Differenzierung bereits in einer frühen Embryonalphase der vorgeburtlichen Entwicklung. Der ursprüngliche Bauplan eines Menschen ist zunächst feminin. Männliche Hormone bewirken dann im Falle einer männlichen Entwicklung eine Maskulinisierung primärer Geschlechtsmerkmale. Daneben haben diese Hormone noch eine weitere Aufgabe: Sie leiten spezifische Differenzierungen im sich entwickelnden Gehirn ein. Besonders dabei ist, dass das weibliche Hormon Östradiol das eigentlich aktive Hormon ist, in welches das Testosteron durch Enzyme im Gehirn umgewandelt wird. Testosteron nimmt bei beiden Geschlechtern einen signifikanten Einfluss auf Verhalten und kognitive Fähigkeiten. So konnten Tierversuche an Ratten beispielsweise aufzeigen, dass eine Kastration, welche die Produktion von Testosteron stoppt, den Sexualtrieb als auch das Aggressionsverhalten verringert. Umgekehrt verstärkte sich das Sexual- und Aggressionsverhalten bei Tieren, die Testosteron injiziert bekamen. Auf den Menschen können diese Erkenntnisse aber nicht ohne weiteres zu hundert Prozent übertragen werden.

Eine weitere Studie hat sich mit dem räumlichen Vorstellungsvermögen, dem mathematischen Schlussfolgern sowie der Wahrnehmungsgeschwindigkeit bei männlichen und weiblichen Probanden in Abhängigkeit von ihrem Testosterongehalt beschäftigt. Die Ergebnisse zeigen, dass Frauen mit einem hohen Testosteronspiegel Fragen zum räumlichen Vorstellungsvermögen (männliche Domäne) besser als Frauen mit einer niedrigen Testosteronkonzentration beantworten. Bei den männlichen Teilnehmern ist es allerdings umgekehrt. Hier korreliert ein niedriger Testosteronspiegel mit besseren Leistungen. Beim mathematischen Schlussfolgern, bei dem Männer generell besser abschneiden als Frauen, erzielen Männer mit niedrigem Testosterongehalt die besten Ergebnisse. Im Hinblick auf die Wahrnehmungsgeschwindigkeit (weibliche Domäne) findet sich keine Verbindung zwischen Hormongehalt und kognitiver Leistung. Schlussfolgernd lässt sich also zusammenfassen, dass eine optimale Testosteronkonzentration maßgebend für die untersuchten kognitiven Aspekte ist. Diese liegt dabei höher als der normale weibliche Testosteronspiegel und niedriger als der normale männliche.





Schmerz, lass‘ nach!
Frauen sind im Durchschnitt wirklich schmerzempfindlicher als Männer.

Auch in Sachen Schmerzempfindlichkeit spielen Hormone eine entscheidende Rolle. So konnten Studien nachweisen, dass Frauen häufiger und intensiver an Schmerzen leiden. Der Grund dafür: Das weibliche Hormon Östrogen scheint die Entwicklung chronischer Schmerzsyndrome und die Schmerzwahrnehmung zu fördern, während die männlichen Geschlechtshormone, die Androgene, dagegen schützen. Dementsprechend treten chronische Schmerzsyndrome bei Frauen häufiger auf. Dazu kommt, dass Frauen während ihres Monatszyklus starken Hormonschwankungen ausgesetzt sind. Der Hormonspiegel ändert sich kontinuierlich. In Untersuchungen konnte Güntürkün nachweisen, dass die mentale Rotationsleistung über den Monatszyklus hinweg schwankt und hochgradig mit dem Auf und Ab von verschiedenen Hormonen wie Testosteron und Östradiol korreliert. Außerdem kann festgestellt werden, dass sich räumliche Fähigkeiten während der präovulatorischen Phase, in der hohe Östrogenwerte vorherrschen, verschlechtern, wohingegen sich manuelle Koordination und artikulatorische Fähigkeiten verbessern.

Primaten zeigen ähnliche geschlechtsspezifische
Verhaltensmuster wie Menschen


Es gibt verschiedenste Methoden, die Unterschiede zwischen Mann und Frau herauszufinden. Eine Forschungsstrategie ist es, sich andere nichtmenschliche Spezies anzusehen. Güntürkün verweist in diesem Kontext auf eine Untersuchung mit grünen Meerkatzen. Vor 12 Jahren haben Forscher verschiedene Meerkatzen-Kolonien beobachtet und ihnen Spielzeug gegeben. Aber nicht irgendein Spielzeug: „Man hat gezielt solches Spielzeug ausgewählt, bei dem Entwicklungspsychologen sagen, dass sie dort starke Geschlechtsunterschiede entdecken“, erläutert Güntürkün. Zu den Gegenständen zählten Töpfe und Puppen, also klassisches Mädchenspielzeug, Autos und Bälle, das typischerweise von Jungen präferiert wird. Mit dabei waren auch Bilderbücher und Stofftiere, die als neutrales Spielzeug gelten. Untersucht wurde dann das Interesse der Meerkatzen am jeweiligen Spielzeug, gemessen an verschiedenen abhängigen Variablen. Die Frage lautete nun: Wie schnell und wie lange interagieren die Tiere mit dem jeweiligen Gegenstand? Die Ergebnisse sind verblüffend. So hatten weibliche Meerkatzen-Kinder mehr Kontakt mit Puppen und Töpfen als ihre männlichen Geschwister. Umgekehrt beschäftigten sich die männlichen Tierkinder bevorzugt mit Bällen und Autos. Bilderbücher und Stofftiere wurden von beiden Geschlechtern gleich häufig in Anspruch genommen. Somit ließen sich diese geschlechtspezifischen Unterschiede hinsichtlich Spielzeug auch auf andere Spezies, in diesem Fall Primaten, übertragen.

Mittels mehrerer psycho-soziologischen Befragungen und verschiedensten Studien konnten Daten gewonnen werden, die Rückschlüsse auf weitere geschlechtsspezifische Unterschiede schließen lassen. So neigen Männer im Vergleich zu Frauen häufiger unter Alkoholismus. Darüber hinaus sind sie anfälliger für atmungsbedingte Schlafstörungen. Frauen dagegen leiden häufiger unter Essstörungen und sind anfälliger für Angst- und Panikstörungen. Nicht zuletzt träumen sie im Vergleich zum männlichen Geschlecht oftmals von Kleidungsstücken. In Sachen Motorik wiederum dominieren die Männer. Ihnen wird nachgesagt, dass sie besser werfen und auffangen können. Auf neurowissenschaftlicher Basis bedarf es in diesem Zusammenhang aber noch intensiverer Forschung.



Typisch Mann: Alkohol(probleme)

Insgesamt lässt sich also zusammenfassen, dass geschlechtsspezifische Unterschiede auf genetische, biologische und hormonelle Grundlagen zurückzuführen sind. Erziehung und Sozialisation spielen in diesem Zusammenhang aber eine genauso wesentliche Rolle und fließen als wichtige Faktoren ein. In Wissenschaft und Forschung haben sich über Jahrzehnte hinweg Erkenntnisse dazu aus den verschiedensten Fachdisziplinen angesammelt. Persönliche Daten wie das Geschlecht der Probanden werden nämlich standardmäßig in so gut wie jeder Studie erhoben. Somit forscht also pauschal jeder Wissenschaftler nach Geschlechtsunterschieden. Und sowohl hier scheint das Thema Geschlechterdifferenzen noch lange nicht ausgeschöpft zu sein wie auch in den Medien nicht. Onur Güntürkün widmet sich lieber der Wissenschaft. Die aktuell gehypten Comedians, die auf Geschlechter-Stereotypen bauen, findet er langweilig.

Quellen


Autoren


Nina Stocklöw
Julian Uncopyable